Durch richtiges Tasten dem Brustkrebs vorbeugen: Wenn Hände mehr sehen können ...

Blinde und sehbehinderte Frauen haben einen außergewöhnlichen Tastsinn. Sie können selbst kleinste Veränderungen im Brustgewebe entdecken. Diese Gabe wird im Rahmen der Früherkennung in immer mehr gynäkologischen Praxen im Raum Leipzig genutzt.

Das blinde und sehbehinderte Menschen über einen überlegenen Tastsinn gegenüber sehenden Menschen verfügen, ist sicher vielen bereits bekannt. Infolge des Erblindens werden andere Sinne, wie zum Beispiel der Tastsinn empfindlicher und präziser. Diese Gabe wird bei der Früherkennung von Brustkrebs in gynäkologischen Praxen im Raum Leipzig nun genutzt. Mit Hilfe dieses akribischen Tastverfahrens werden die Heilungschancen bei Brustkrebs deutlich verbessert, da rechtzeitig therapiert werden kann.

Ein Flyer in der Praxis von Frauenärztin Dr. Eva-Maria Robel in Markkleeberg weckt mein Interesse. „Sicherer fühlen – taktile Diagnostik“ steht auf dem Titel. Im Fernsehen habe ich das schon mal gesehen. Blinde Frauen suchen die weibliche Brust nach Knoten ab.

Ich bin gerade 54 Jahre alt geworden und die jährliche Vorsorge bei meiner Frauenärztin ist für mich selbstverständlich. Ich war auch schon zweimal bei der Mammographie. Die Röntgenuntersuchung wird Frauen zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr als gesetzliche Vorsorgeleistung alle zwei Jahre automatisch angeboten. Bislang war immer alles in Ordnung. Mir ist aber bewusst, mit den Wechseljahren steigt auch mein Risiko für Brustkrebs. Ich möchte für mich so viel Sicherheit wie möglich und vereinbare einen Termin für die taktile Untersuchung bei Dr. Susi-Hilde Michael. Seit Februar 2022 kann diese Tastuntersuchung auch  in der Praxis von Dr. Eva-Maria Robel in Anspruch genommen werden.

Je kleiner der Tumor, desto besser die Heilungsprognosen 

„Mit mehr als 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr ist das Mammakarzinom die mit Abstand häufigste Krebserkrankung der Frau. Jede achte erkrankt daran“, weiß Dr. Eva-Maria Robel. Sie ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im MVZ Polikum Leipzig. Rund 18.000 Frauen jährlich überleben die Krankheit nicht.

In einem frühen Krebsstadium kann ein Knoten oft vollständig operativ entfernt und der Frau die belastende Chemo- und Strahlentherapie erspart werden. Lebensgefährlich ist nicht der Tumor selbst, sondern die Streuung im Körper. Ich kenne einige Frauen, die an Brustkrebs erkrankt waren – eine mit knapp 50 Jahren im entfernten Familienkreis, eine frühere Mitschülerin, eine ehemalige Nachbarin, eine Kollegin. Alle geheilt, weil die bösartigen Veränderungen sehr zeitig erkannt wurden. 

Entscheidend für die Prognose ist neben dem Gewebetyp die Größe des Tumors. Je kleiner, desto besser sind die Behandlungschancen.

Dr. Eva-Maria Robel, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

Unser Praxis-Tipp

MVZ Polikum Leipzig – Praxis für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Dr. med. Eva-Maria Robel
Ring 7 A, 04416 Markkleeberg
Telefon 0341 3580613, frauenarzt.polikum@sana.de

Vor der Untersuchung kommen Ängste hoch

Zwei Tage davor wird mir dann doch bange. Was ist, wenn wirklich ein Tumor gefunden wird? Ängste, die frau gern verdrängt, werden wach. Kurz überkommt mich der Gedanke, das Ganze abzusagen. Besser nicht. Doch sobald Brustkrebs in andere Organe streut, die gefürchteten Metastasen gebildet hat, gilt eine Heilung als unwahrscheinlich. Also gehe ich hin, zugegeben, mit einem mulmigen Gefühl.

Dr. Susi-Hilde Michael arbeitet seit einigen Jahren als Medizinisch-Taktile Untersucherin (MTU) für discovering hands. Blinde und sehbehinderte Frauen wie sie verfügen über eine besondere Gabe: einen außergewöhnlichen Tastsinn. Sie können bereits sehr kleine, nur sechs bis acht Millimeter große Knoten entdecken. Selbst erfahrene Gynäkologen würden diese beim Abtasten in der Regel nicht bemerken, geschweige denn die betroffenen Frauen selbst. „Durch die ergänzende Früherkennung werden 30 Prozent mehr Auffälligkeiten gefunden“, bestätigt Dr. Susi-Hilde Michael.

Sie begrüßt mich freundlich und bittet mich, Platz zu nehmen. Bevor sie mit der Untersuchung beginnt, befragt sie mich: Alter, Gewicht, Sport, Ernährung, Rauchen, Alkohol und natürlich Krebserkrankungen bei Mutter und Großmutter. Letzteres kann ich zum Glück mit Nein beantworten. Bei meiner Lebensweise gibt es Luft nach oben. Mehr Bewegung wäre gut. „Tasten Sie Ihre Brust jeden Monat selbst ab? Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Haben Sie Schmerzen in der Brust?“ Die MTU erfasst alles im Computer.

Die Brust wird nach einem Koordinatensystem abgetastet

Nach der Anamnese mache ich den Oberkörper frei. Die MTU erklärt mir in Ruhe die nächsten Schritte. Die Untersuchung beginnt im Sitzen. Dr. Susi-Hilde Michael streicht über meine Brüste – außen und innen, oben und unten. Sie tastet die Lymphknoten am Hals, an den Schlüsselbeinen und in den Achselhöhlen ab. „Die ersten Untersuchungsschritte liefern wichtige Hinweise zu Größe, Form, Temperatur und Gewebebeschaffenheit der Brüste“, erläutert sie, „manchmal ertaste ich schon Auffälligkeiten.“

Langsam legt sich meine Anspannung, die blinde Frau nimmt mir meine Unsicherheit. Dann soll ich mich auf den Rücken legen. Dr. Susi-Hilde Michael hat rot-weiße Streifen, DOKOS genannt, in den Händen. Sie klebt sie längs auf meinen Brüsten auf. Es entstehen vier Untersuchungszonen, die sie nacheinander mit ihren sensiblen Fingerspitzen Zentimeter für Zentimeter „durchmustert“. „Die fühlbaren Markierungen auf den DOKOS helfen mir bei der Orientierung, damit ich auch nichts auslasse“, erklärt sie. Die erhabenen Punkte erinnern mich an die Braille-Blindenschrift. „Beim Untersuchen berücksichtige ich drei Gewebetiefen. Die tiefste liegt nahe der Brustwand. Brusterkrankungen gibt es nicht nur unmittelbar unter der Haut“, sagt Dr. Susi-Hilde Michael. Auch die Brustwarzen werden ganz genau abgetastet.

Während der Untersuchung liege ich bequem. Mal seitlich auf ein Kissen gestützt, mal auf dem Rücken. Schmerzen habe ich bei der Untersuchung nicht. Ich spüre an manchen Stellen Druck. Mehr nicht. Gut auszuhalten, selbst für sensible Naturen wie mich. 

Nach etwa einer Stunde kann ich mich wieder anziehen. Ein bisschen unangenehm ist das Abziehen der Klebestreifen. Das ziept an der Haut wie bei einem Pflaster. Die MTU schreibt noch den Befund: „Dr. Robel wird gleich mit Ihnen sprechen. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund zur Beunruhigung. In einem Jahr kommen Sie bitte wieder.“ Sie rät mir noch zur regelmäßigen monatlichen Selbstuntersuchung der Brust. 

Was können Sie vorbeugend tun?

Wissenschaftler:innen gehen inzwischen davon aus, dass 25 Prozent der Brustkrebs-Neuerkrankungen durch einen gesunden Lebensstil verhindert werden könnten. Die wichtigsten Empfehlungen: Achten Sie auf Ihr Körpergewicht. Bewegen Sie sich regelmäßig, treiben Sie am besten Sport. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung hilft. Reduzieren Sie Ihren Alkoholkonsum, rauchen Sie nicht. Bei einer Hormonersatztherapie in den Wechseljahren sollten Beschwerden und Risiken genau abgewogen werden. Stillen senkt das Risiko für Brustkrebs. 

Früherkennung beginnt zuhause

Denn vielen Frauen ist nicht bewusst, dass Brustkrebsfrüherkennung mit der Selbstuntersuchung zuhause anfängt. Viele vernachlässigen dies, weil sie nicht daran denken, nicht wissen, wie es richtig geht, oder einfach Angst haben, einen Knoten zu entdecken. Dabei ist Vorsorge in jedem Alter wichtig. Immerhin hat jede dritte Frau mit der Diagnose Brustkrebs das 50. Lebensjahr noch nicht erreicht. Dank Früherkennung sinken die Sterbefälle kontinuierlich. Fünf Jahre nach der Diagnose leben heute noch 87 Prozent der Patientinnen. Das sah früher anders aus. Ich bin erleichtert und froh, dass ich mich überwunden habe. „Die taktile Brustuntersuchung steht allen Frauen offen und sollte einmal im Jahr genutzt werden“, rät Dr. Susi-Hilde Michael. Aktuell übernehmen 31 gesetzliche Krankenkassen und alle privaten Krankenkassen die Kosten von 46,50 Euro. Ich werde Freundinnen und Kolleginnen davon erzählen.

Das Unternehmen discovering hands bildet blinde Frauen, wie Dr. Susi-Hilde Michael in einem neunmonatigen Training zu professionellen Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen aus. So qualifiziert, können sie ihre herausragenden Fähigkeiten dazu nutzen, um bereits sehr kleine Veränderungen im Brustgewebe frühzeitig zu entdecken.

Die taktile Brustuntersuchung ist ein zusätzliches Angebot

Dr. Eva-Maria Robel trägt die medizinische Verantwortung und stellt anhand der Untersuchungsergebnisse der MTU in ihrem Sprechzimmer die Diagnose. Falls erforderlich, würde sie die weitere Diagnostik und Behandlung einleiten. „Alles in Ordnung, wir sehen uns zur jährlichen Vorsorge bei mir wieder“, sagt die Ärztin. Diese Vorsorge zahlt die Krankenkasse, genau wie das Mammographie-Screening. Im Herbst bin ich wieder dran. Selbstverständlich werde ich die Termine wahrnehmen. Frauen mit familiärer Vorbelastung werden noch engmaschiger untersucht, sofern sie es wünschen. 

„Ich freue mich, mit Frau Dr. Michael die taktile Brustuntersuchung auch in unserer Praxis anbieten zu können. Wichtig ist mir, dass es kein Ersatz für die regelmäßige Vorsorgeuntersuchung und das Mammographie-Screening ist. Die taktile Brustuntersuchung der MTU ist eine zusätzliche Möglichkeit, Verantwortung für sich und seinen Körper wahrzunehmen“, betont Dr. Eva-Maria Robel. 

Stand: 03.11.2022

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