Demenz-Therapie: Wer kann ich noch sein?

Wie fühlt es sich an, wenn die Gegenwart entrückt, wenn geliebte Menschen aus der Erinnerung verschwinden und selbst einfache Zusammenhänge des Alltags undurchdringlich scheinen? Im vergangenen Jahr widmete sich ein Projekt mit dem Markleeberger Rudolf-Hildebrand-Gymnasium genau diesen Fragen.

Mit Unterstützung der Künstlerin Christine Herold-Knapp und der Pflegedirektorin Katharina Schuhmann näherten sich Schüler*innen der 5. und 6. Klasse im Schuljahr 2019/2020 der Lebenswelt an Demenz Erkrankter. Ihre Bilder zeigen eindrücklich, was die Erkrankung, aber auch was die Demenzbehandlung ausmacht. „Alle medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Anliegen setzen an der individuellen Lebenssituation der Betroffenen und ihrer Angehörigen an und wirken dorthin zurück“, sagt die Pflegedirektorin.

Nicht-medikamentöse Therapien im Vordergrund

Der Begriff Demenz leitet sich von dem lateinischen Wort dementia ab. Es bedeutet so viel wie Unvernunft, wörtlich übersetzt „ohne Verstand“. Die Erkrankung geht mit einem fortschreitenden Verlust an geistigen, aber auch emotionalen und sozialen Fähigkeiten einher. Gedächtnis, Denkvermögen, Urteilsfähigkeit, Orientierung, Sprache und Alltagsfähigkeiten verschlechtern sich kontinuierlich. „Eine demenzielle Erkrankung wirkt sich auf alle Lebensbereiche, die Gefühlswelt und das Identitätsempfinden aus“, sagt Dr. Ralf Sultzer, Ärztlicher Direktor des Geriatriezentrums und Chefarzt der Klinik für Akutgeriatrie und Frührehabilitation in Zwenkau. Die Ursachen für diesen Prozess können sehr unterschiedlich sein. Demenzerkrankungen treten zum einen als eigenständiges Krankheitsbild auf. Ein Beispiel dafür ist die Alzheimer-Krankheit. Sie können aber auch Folge einer Grunderkrankung sein, beispielsweise einer schweren Depression oder einer Störung des Stoffwechsels. Liegt eine behandelbare Grunderkrankung vor, steht sie im Zentrum der Therapie. In einigen Fällen können Grunderkrankung und Demenz sogar geheilt werden. Die meisten Demenzformen gelten jedoch derzeit als nicht heilbar. Dann verlagert sich der Behandlungsschwerpunkt auf den möglichst langen Erhalt der Fähigkeiten. 

Der Autor hat ein berührendes Buch über seinen Vater geschrieben, der trotz seiner Alzheimer-Krankheit mit Vitalität, Witz und Klugheit beeindruckt. Die Krankheit löst langsam seine Erinnerung und seine Orientierung in der Gegenwart auf. Arno Geiger erzählt, wie er nochmals Freundschaft mit seinem Vater schließt und ihn viele Jahre begleitet. Erschienen 2011 bei Hanser Literaturverlage.

„Vor allem im Anfangsstadium können Medikamente helfen, die Beschwerden zu lindern und Risiken für den schnellen geistigen Abbau zu verringern“, erklärt Dr. Sultzer. In der Gesamtbehandlung liegt das therapeutische Hauptaugenmerk allerdings auf den nicht-medikamentösen Therapien. „Grundsätzlich möchten wir, dass die Betroffenen so lange wie möglich bei guter Lebensqualität selbstständig leben können“, sagt Grit Eckardt, Physiotherapeutin und Leiterin der Therapie am Geriatriestandort Zwenkau. Immer wieder stehen dabei Themen im Mittelpunkt, die auch die Bilder der Schüler*innen des Rudolf-Hildebrand-Gymnasiums widerspiegeln, zum Beispiel das Verblassen von Erinnerungen, die Vergesslichkeit oder − wie in dem Bild „Heute und gestern – Wer bin ich?“ − die Frage nach der Identität.

Den Weg gemeinsam gehen

 „In der Therapie versuchen wir die Frage ‚Wer bin ich?‘ in die Frage ‚Wer kann ich noch sein?‘ umzuwandeln“, sagt Grit Eckardt, als sie vor den Bildern der Schüler*innen steht, die seit dem Frühjahr vergangenen Jahres im Erdgeschoss des Zwenkauer Klinikums ausgestellt sind. Die Stärken und Ressourcen der Betroffenen in den Blick zu nehmen, statt die Defizite zu fokussieren, ist einer der Grundsätze, auf denen alle nicht-medikamentösen Therapien basieren. „Es kommt uns gemeinsam mit den Betroffenen und Angehörigen darauf an, die Fähigkeiten so lang wie möglich zu erhalten und einen Ausgleich für das zu finden, was nicht mehr geht“, erklärt die erfahrene Physiotherapeutin. 

Unser Behandlungsangebot lässt sich als eine Einladung an Demenzbetroffene und ihre Angehörigen verstehen, den Weg, den die Erkrankung vorgibt, ein Stück mitzugehen.

Therapieleiterin Grit Eckardt

Die Sana Kliniken Leipziger Land haben in Zwenkau eine Versorgungsstruktur aufgebaut, die eine flächendeckende und in der Region vernetzte geriatrische Versorgung sicherstellt. Auf allen Ebenen – von der ambulanten bis zur stationären Therapie – steht der Mensch mit seinen körperlichen, seelischen und sozialen Bedürfnissen und Ressourcen im Mittelpunkt von Pflege, Therapie und ärztlicher Betreuung. Die Bausteine dafür heißen: Akutgeriatrie und Frührehabilitation, Geriatrische Institutsambulanz, Geriatrische Tagesklinik, Geriatrische Rehabilitation und Klinik für Innere Medizin.

Grit Eckardt, Leiterin Therapie, Katharina Schuhmann, Pflegedirektorin, Dr. Med. Ralf Sultzer, Ärztlicher Direktor Geriatriezentrum, Gamze Keser, Zentrumsmanagerin (v. l. n. r.)

Damit das gelingt, arbeiten verschiedene Berufsgruppen fachübergreifend zusammen: Zum Zwenkauer Geriatrieteam gehören die Therapeut*innen der Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie, spezialisierte Pflegekräfte, Psycholog*innen, Ärzt*innen sowie der Sozialdienst. Sie alle nehmen unterschiedliche Aspekte von Selbstständigkeit und Lebensqualität therapeutisch in den Blick: Die Verhaltenstherapie hilft, eine gute Tagesstruktur zu entwickeln, praktische Problemlösungen sowie positive Denkmuster zu stärken. 

Demenz ist eine der häufigsten Erkrankungen im Alter: Aktuell sind in Deutschland nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft etwa 1,6 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, bis zum Jahr 2050 werden es etwa drei Millionen sein. Schätzungen zufolge kommen in Deutschland jährlich rund 300.000 Neuerkrankungen hinzu.

Die Physiotherapie konzentriert sich auf die Sturzprophylaxe, verbessert die körperliche Fitness, Ausdauer und Koordination; Kompetenzen, die auch in einem engen Zusammenhang mit geistigen Fähigkeiten stehen. In der Ergotherapie dreht sich alles um die praktische Alltagsbewältigung, die Biographie- und Erinnerungsarbeit. Die Musiktherapie vermag über das Hören und Singen von Musikstücken, Erinnerungen zu wecken und emotionale Brücken in die Gegenwart zu bauen, und die Kunsttherapie bietet einen bildnerischen Weg, Gefühle, Bedürfnisse, Erinnerungen auszudrücken. „Natürlich sind all die Ansätze in einen Behandlungsplan eingebettet, der die individuelle Situation des Patienten oder der Patientin aufgreift. Dazu gehört selbstverständlich auch, den Patienten oder die Patientin und die Angehörigen aktiv in die Therapie miteinzubeziehen“, sagt Eckardt. „In gewisser Weise lässt sich unser Behandlungsangebot – in Anlehnung an eines der Projektbilder – als eine Einladung an Demenzbetroffene und ihre Angehörigen verstehen, den Weg, den die Erkrankung vorgibt, ein Stück mitzugehen.“ 

Stand: 03.11.2022

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