Diagnose Krebs: Die Behandlung eines Tumors der Ohrspeicheldrüse

Maria H.* hat eine kämpferische Natur. „Ich kann mich nicht hinsetzen und mich bedauern“, sagt sie über sich. Am liebsten wäre sie schon wenige Wochen nach der Entlassung aus dem Bornaer Krankenhaus in das Arbeitsleben zurückgekehrt. Begonnen hat ihre Krankheitsgeschichte bereits im Dezember 2019. Die Diagnose Krebs war ein Schock.

Dass der Tumor vollständig entfernt werden konnte, war eine erlösende Nachricht …

Patientin Maria H.*

Beim Weihnachtsplätzchenbacken mit ihrer Tochter bemerkte sie eine leichte Schwellung vor dem Ohr und hatte das Gefühl, ihren Mund nicht mehr so weit öffnen zu können wie zuvor. Zunächst wurde sie deswegen kieferorthopädisch behandelt. Bis ihrem Mann im Sommerurlaub auffiel, dass sich die Schwellung vergrößert hatte. Eine Allgemeinmedizinerin überwies sie daraufhin zur Diagnostik in die Bornaer Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf-, Hals- und plastische Gesichtschirurgie. Eine klinische Untersuchung und der diagnostische Ultraschall erbrachten schnell Klarheit. „Das Ultraschallbild zeigte einen Tumor der Ohrspeicheldrüse“, erinnert sich der behandelnde HNO-Arzt Dr. Petar Stanković, der auf die chirurgische Behandlung dieser Tumorart spezialisiert ist.

„In den allermeisten Fällen sind Ohrspeicheldrüsentumoren gutartig. Behandelt werden müssen sie aber dennoch. In der Regel ist dann eine operative Entfernung die Therapie der Wahl, denn auch gutartige Tumoren können aufgrund ihres Wachstums Druck auf den Gesichtsnerv ausüben“, ergänzt der Oberarzt.

*Name von der Redaktion geändert

Die Ohrspeicheldrüse gehört mit der Unterkiefer- und den Unterzungenspeicheldrüsen zu den großen Kopfspeicheldrüsen. Sie ist die größte, liegt auf beiden Gesichtsseiten vor und unterhalb der Ohrmuschel und reicht vom Jochbein bis zum Kieferwinkel. Der Ausführungsgang verläuft entlang der Kaumuskulatur, dringt durch den Backenmuskel zur Backenschleimhaut in die Mundhöhle durch. Die Drüse produziert einen wässrigen Speichel, dessen Enzym Kohlehydrate zersetzt und der für die Immunabwehr im Mundraum bedeutsam ist. Tumoren der Ohrspeicheldrüse sind mit 2,5 Neuerkrankungen pro 100.000 Menschen (Inzidenz) selten; in 20 Prozent der Fälle werden bösartige Tumoren entdeckt.

Operation bei Echtzeitüberwachung der Nervenaktivität

Die operative Behandlung verfolgt zwei Ziele: das Tumorgewebe vollständig zu entfernen und die Funktion des Gesichtsnervs zu erhalten. Das ist durchaus kein ganz einfaches Unterfangen, weil der Gesichtsnerv mitten durch die Ohrspeicheldrüse verläuft. 

„Bei Maria H. hatte sich der Tumor leider bereits bis unter den Gesichtsnerv ausgebreitet. Das erschwerte den Eingriff zusätzlich, weil die Äste des Nervs immer wieder freigelegt werden mussten, um das Tumorgewebe vollständig entfernen zu können“, erklärt Dr. Stanković, der die Patientin operiert hat. Um den Gesichtsnerv bestmöglich zu schonen, arbeiten die Bornaer Chirurg:innen im Rahmen eines Forschungsprojektes mit dem Verfahren des kontinuierlichen intraoperativen Neuromonitorings. Es bedeutet, dass die Aktivität des Gesichtsnervs während der gesamten Dauer des Eingriffs lückenlos kontrolliert wird. Professor Dr. Thomas Wilhelm, Chefarzt der HNO-Klinik, erklärt: „Wir wissen aus der Schilddrüsenchirurgie, dass Nerven bereits durch eine unbeabsichtigte Zerrung während des Eingriffs geschädigt werden können, ohne dass der Operateur dies bemerkt. Um solchen Schäden vorzubeugen, müssen wir also nicht nur bestimmen, wo die Nerven liegen, sondern auch ihre Aktivität im Blick behalten.“ 

Tumoren der Ohrspeicheldrüse sind mit 2,5 Neuerkrankungen pro 100.000 Menschen (Inzidenz) selten; in 20 Prozent der Fälle werden bösartige Tumoren entdeckt.

Verhindern von Nervenverletzungen

Für eine effektive Echtzeitüberwachung wird eine weiche Elektrode vorübergehend für die Dauer der Operation am Gesichtsnerv platziert. Die Elektrode sendet während des Eingriffs kontinuierlich Impulse. Auf dem Monitor lässt sich dann anhand der Antwortsignale überwachen, ob der Nerv einwandfrei arbeitet.

Bei einer drohenden Schädigung – beispielsweise einer Zerrung – kann der Operateur oder die Operateurin rechtzeitig reagieren. In der Schilddrüsenchirurgie ist diese Art des Herangehens bereits Standard. Wie gut das Verfahren auch bei der Operation von Ohrspeicheldrüsentumoren Nervenverletzungen verhindern kann, untersucht das Bornaer Forschungsprojekt, das Dr. Stanković im Rahmen seiner Habilitationsarbeit leitet. Bei Maria H. ließ sich aufgrund der Lage des Tumors eine Reizung des Nervs leider nicht gänzlich vermeiden. „Ich habe nach der Operation gemerkt, dass das Auge beim Zwinkern etwas nachhängt, ich konnte die Nase nicht rümpfen und auch beim Lachen und Sprechen hing der Mundwinkel herab. Die Mimik rechtsseitig war nach der Operation eingeschränkt“, erzählt sie. Glücklicherweise waren die Beschwerden nicht von Dauer. Sie bekam von ihrer niedergelassenen HNO-Ärztin Logopädie verschrieben, mit deren Hilfe sich schnell deutliche Verbesserungen zeigten.

Der Faktor Zeit bei der Tumorbehandlung

Wenn über Erfolge in der Krebsbehandlung berichtet wird, geht es häufig um neue Therapieansätze, verbesserte Operationstechniken oder um ein präziseres Verständnis der Tumorentstehung. Tatsächlich leistet die Forschung auf diesen Gebieten viel. Ein ebenso wichtiger Faktor ist aber die Zeit: Das gilt nicht nur für die Früherkennung einer Krebserkrankung, sondern für den gesamten Behandlungsweg bis zur Nachsorge. So zeigen Studien zu verschiedenen Krebserkrankungen, dass Verzögerungen innerhalb des Behandlungsprozesses Ängste verstärken, die wahrgenommene Lebensqualität verschlechtern und bei manchen Tumorarten die Überlebensdauer verringern. Aus diesem Grund hat sich das Kopf-Hals-Tumorzentrum zum Ziel gesetzt, die Behandlungskette kontinuierlich zu optimieren. Gegenwärtig liegen zwischen Erstvorstellung und Diagnosesicherung 5,5 Tage. Verglichen mit anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Großbritannien und Frankreich ist das ein sehr guter Wert. Der große Vorteil einer Behandlung am Bornaer Hals-Kopf-Tumorzentrum liegt in seiner Einbettung in das zertifizierte Onkologische Zentrum, das eine große Spannbreite diagnostischer und tumorchirurgischer Kompetenz unter einem Dach bündelt und darüber hinaus über ein starkes Netzwerk an ambulanten Kooperationspartnern die Gesamtbehandlung effektiv zentral koordinieren kann.

Teamarbeit: Fachübergreifende Tumorbehandlung

Im Anschluss an eine Tumoroperation wird das entfernte Gewebe für eine weitere feingewebliche Diagnostik eingeschickt und von versierten Patholog:innen mikroskopisch untersucht. Im Fall von Maria H. erbrachte die Untersuchung leider keine guten Nachrichten. Bei dem entfernten Knoten handelte es sich um einen bösartigen Tumor, allerdings einen sogenannten Low-Grade-Tumor: „Low Grade bedeutet, dass das Tumorgewebe dem Ursprungsgewebe noch stark ähnelt, und zeigt − einfach gesagt −, dass der Krebs nicht sehr aggressiv ist und bei rechtzeitiger Entfernung eine gute Prognose aufweist.“, so der Operateur Dr. Stankovic.“

Für die Patientin war der Befund dennoch zunächst ein Schock und zog weitere Untersuchungen nach sich, um das Ausmaß der Krebserkrankung einschätzen zu können. Dazu gehörte beispielsweise eine Computertomographie von Hals, Brustkorb und Bauchraum. Anschließend wurden die Befunde und Untersuchungsergebnisse in der Tumorkonferenz, auch Tumorboard genannt, zusammengetragen und fachübergreifend bewertet, um die nächsten Behandlungsschritte planen zu können. Am Tumorboard des Kopf-Hals-Tumorzentrums nehmen neben den HNO-Ärzt:innen auch Expert:innen der Pathologie, Radiologie, Onkologie, Strahlentherapie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie und Phoniatrie (Stimmheilkunde) teil.

Erfolgreiche Entfernung des Tumors

Für Maria H. brachte die Tumorkonferenz die Wende: „Dass der Tumor vollständig entfernt werden konnte, war eine erlösende Nachricht“, sagt sie. Der Tumor hatte zudem noch keine Tochtergeschwulste gebildet. Aus diesem Grund war eine Weiterbehandlung mit einer Chemo- oder Strahlentherapie nicht notwendig. Empfohlen wurde stattdessen eine reguläre Nachsorge.

Sie umfasst neben der HNO-ärztlichen Betreuung eine chirurgische Nachsorge, die in den ersten zwei Jahren in einem Drei-Monats-Rhythmus stattfindet. Danach verlängert sich der Zyklus auf sechs Monate und ab dem vierten bis zum zehnten Jahr nach Diagnosestellung auf einmal jährlich. Mittlerweile ist fast ein Jahr seit der Operation vergangen. Es gehe ihr gut, sagt die Patientin, auch wenn sie das Erlebte noch stark beschäftige. Auch ihr behandelnder Chirurg Dr. Stanković zeigt sich zufrieden. „Ich erlebe, dass die Patientin die Krankheit gut überstanden hat. Besonders freut mich, dass sich die Lähmung des Gesichtsnervs wieder vollständig zurückgebildet hat.“


Chefarzt Prof. Dr. med. Thomas Wilhelm und Leitender Oberarzt Dr. med. Petar Stanković gemeinsam mit ihrem Expertenteam

Gemeinsam mehr erreichen bei der Behandlung von Krebs

Neben dem ärztlichen und therapeutischen Know-how gehören zum Kopf-Hals-Tumorzentrum ebenso die Pflegekräfte, die mit einem onkologischen Fachpflegekonzept auf die Bedürfnisse von Tumorpatient:innen spezialisiert sind; die psychoonkologische Betreuung und die Sozialberatung, die zum Beispiel bei der Beantragung von Hilfsmitteln unterstützt. Das Onkologische Zentrum vermittelt darüber hinaus gern Kontakte zu Selbsthilfegruppen, bietet Fortbildungsveranstaltungen und Patiententage an. Sollte die Krebserkrankung weit fortgeschritten sein, gibt es mit der Palliativmedizin verschiedene Wege, um Schmerzfreiheit und eine gute Lebensqualität trotz der Krankheit zu erreichen. 

Das Kopf-Hals-Tumorzentrum ist Teil des zertifizierten Onkologischen Zentrums der Sana Kliniken Leipziger Land. Es organisiert die Diagnostik und Therapie für die meisten der häufigen Krebserkrankungen. Dazu gehören neben den Kopf-Hals-Tumoren der Brust-, Darm-, Magen-, Bauchspeicheldrüsen-, Lungen-, Prostata-, Nieren- und Blasenkrebs, die Tumoren der weiblichen Geschlechtsorgane sowie die Krebserkrankungen des Blutes. Die Zertifizierung durch die Deutsche Krebsgesellschaft belegt eine hohe fachliche Kompetenz und Erfahrung der Ärzt:innen, Pflegekräfte und Therapeut:innen, eine gute medizintechnische Ausstattung sowie eine starke Vernetzung mit den niedergelassenen Behandler:innen und anderen Zentren. Das Onkologische Zentrum kooperiert darüber hinaus mit den umliegenden Universitätskliniken, bahnt insbesondere Patient:innen mit seltenen Erkrankungen Wege dorthin und hilft auch vor Ort weiter.

Tumorboard — die Beste Behandlung entsteht kooperativ 

Eine gut abgestimmte Gesamtbehandlung und zeitnahe Weiterversorgung anzubieten, darin liegt eine Stärke der Onkologischen Zentren: Denn Entscheidungen werden in einem Zentrum nicht allein getroffen. Im Rahmen einer Tumorkonferenz stimmen sich alle beteiligten Fachdisziplinen über den Diagnostik- und Behandlungsplan ab. Diese Abstimmung ist ein zentraler Punkt in den Vorgaben der Deutschen Krebsgesellschaft für eine Zertifizierung. Dabei sitzen nicht nur hausinterne Expert:innen verschiedener Fachrichtungen gemeinsam am Tisch, sondern auch externe Behandlungspartner:innen wie niedergelassene Onkolog:innen oder Patholog:innen kooperierender Institute. Das gewährleistet zum einen, dass der vielversprechendste Behandlungsplan gefunden wird. Zudem können Folgetermine bestmöglich organisiert werden und die Patient:innen können sich ganz auf ihre Genesung konzentrieren.

Haben Sie Fragen zu diesem Thema?

Telefon 03433 21-1461

Mehr Infos finden Sie auch auf der Website der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf-, Hals- und plastische Gesichtschirurgie

Stand: 03.11.2022

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